Kapitel 17 -Papierkrieg-Blues-

14.10.2015 16:55

28. September 2015
Heute Morgen, für meine Verhältnisse sehr früh um halb neun, wurde ich unsanft geweckt. Das Telefon klingelte derart beharrlich, dass ich es nicht ignorieren konnte. Ich befürchtete einen Not- oder Todesfall, aber es war die Praxis meiner Psychologin, die mit mir einen Termin am 9. Oktober vereinbaren wollte, wegen der Anfrage der Krankenkasse, wir erinnern uns, mit der hatte ich am 17. September telefoniert. Ich war noch nicht so voll auf Sendung, brummte aber:
„Das ist viel zu spät! Es geht um meinen Antrag. Kann man das nicht schneller klären und geht das nicht eventuell telefonisch?“
„Da muss ich erst mit Frau Doktor Rücksprache halten. Ich rufe Sie dann wieder an.“
Ich bat um einen Anruf um die Mittagszeit, in der irrigen Annahme, ich könne meinen unterbrochenen Schlaf fortsetzen. Der Montag ist bei mir, wie bei vielen Bühnenkünstlern, der Ausschlaftag. Ich legte mich wieder hin.
Aber an Schlaf war natürlich nicht mehr zu denken, mein Adrenalinpegel war auf Anschlag, meine Gedanken kreisten um die Frage, was „die“ denn jetzt genau wissen wollten, was daran so kompliziert sei, dass Frau Doktor das mit mir besprechen musste, statt die Auskünfte zügig an die Krankenkasse weiterzuleiten.
Also doch raus aus dem Bett, schnell was übergeworfen, Hund geschnappt und ab zum Bäcker. Erfreulicherweise schien die Sonne, es wehte ein leichter Septemberwind, eigentlich beste Voraussetzungen, gute Laune zu bekommen.
Zurück im trauten Heim setzte ich erst mal Kaffeewasser auf, portionierte Kaffeebohnen in meine geerbte Mühle von Braun und veranstaltete mein morgendliches Getöse.
Mit einer schönen Tasse Kaffee vor mir rief ich in der Praxis an.
Ein früherer Termin sei nicht möglich, und ich solle doch bitte Diagnosen und Berichte von meiner damaligen Therapeutin mitbringen, meine posttraumatische Belastungsstörung und meinen Alkoholkonsum betreffend.
Na toll, meine Therapiesitzungen hatte ich von 2007 bis 2011!
Ich habe umgehend bei Frau Dr. S. angerufen und auf Band gesprochen, dass ich um Rückruf bitte.
Und jetzt heisst es wieder:  WARTEN …!
Und überhaupt, was soll sein mit meinem Alkoholkonsum? Ja, früher …
… da war ich kein Kind von Traurigkeit, und den Abschluss eines Tages, nach einer Theater-Show oder einem Konzert, bildete traditionell der Besuch in der Lieblingskneipe, wo dann beim Kölsch über die wirklich wichtigen Dinge gesprochen wurde. Und ich war durchaus trinkfest.
Aber heute …
… Mal ganz unter uns, ich vertrage das gar nicht mehr, und erst recht nicht jeden Tag! Also nicht, dass ich unter die Abstinenzlerinnen gegangen wäre, aber das hält sich alles in einem mehr als überschaubaren Rahmen. Und da ich auch in meinen Lieblingskneipen nicht rauchen darf, bleibe ich meistens daheim und trinke Mineralwasser. Es muss dann schon ein besonderer Anlass her, um mir den folgenden Tag zu ruinieren. Glücklicherweise gibt es hin und wieder solche Anlässe, aber regelmässiges Trinken ist leider nicht mehr drin.

5. Oktober 2015
Inzwischen habe ich Telefonate mit meiner früheren Therapeutin und der Krankenkasse geführt, die dann wieder zu noch mehr Papierkram führten. Ich muss nämlich meine Ex-Therapeutin erst mal ganz offiziell, d.h. in schriftlicher Form von ihrer Schweigepflicht entbinden, damit sie die Fragen des MDK beantworten kann. Das ist zwar einerseits lästig, anderseits aber auch beruhigend.
Diese ganze Wartezeit mit dem Papierkrieg zieht sich nun in den Herbst hinein, dabei hatte ich zu Beginn meiner Aktivitäten darauf gehofft, dass im Herbst die OP stattfinden würde. Danach sieht es allerdings z.Zt. nicht aus. Ich rechne nun eher damit, dass es erst nach Karneval möglich wird, denn der behandelnde Arzt im St. Franziskus-Krankenhaus sprach von vier Wochen nach der OP, bis man wieder „alles machen“ kann. Und da wir im kommenden Jahr eine sehr kurze Session haben werden, steht die Premiere der Röschensitzung schon für den 15. Januar auf dem Programm. Wenn die Bewilligung sich weiter so hinzieht, befürchte ich, dass ein OP-Termin vor Mitte Dezember nicht zustande kommt. Wenn dieser Fall eintritt, muss ich den bis nach der Session verschieben.
Ja, ja, ungelegte Eier, ist schon klar.
Ich mache mir halt so meine Gedanken, schliesslich hat es seit zwanzig Jahren keine Rosa- oder Röschensitzung ohne mich gegeben. Die Mitarbeit in diesem Ensemble ist eine der wenigen Konstanten in meinem Bühnenleben. Mal ganz davon abgesehen, wie viel Freude mir diese Arbeit macht, wäre es für meine Kollegen ein riesiger Mehraufwand, meine Arbeitsanteile mit zu übernehmen, sowohl auf, als auch hinter der Bühne. Diese vierstündige Karnevals-Revue mit Matthias zusammen zu moderieren, ist ja nur ein Part meiner Mitwirkung. Darüber hinaus spiele ich in Szenen mit, mache Co-Regie, singe, texte, stelle die Einlass- und Pausenmusik zusammen … und, und, und …
Nein, das will und kann ich nicht ausfallen lassen!
Ich hatte zu Beginn (Februar 2015) meiner Aktivitäten in Richtung Magen-OP gehofft, in der kommenden Session schon merklich schlanker auf der Bühne zu erscheinen, aber das kann ich mir jetzt schon abschminken. Ich habe zwar knapp 15 kg abgenommen, und leider auch schon wieder 4 kg zugenommen, aber das fällt optisch nicht auf.
So langsam schleicht sich die Resignation heran, ich bin sehr unglücklich mit dem Verlauf der Angelegenheit und ich fühle mich auch irgendwie dieser Bürokratie ausgeliefert, was in mir das Gefühl von Hilflosigkeit gibt.
Es ist zum Heulen!

12. Oktober 2015
Letzten Freitag war ich bei meiner Psychologin, die mir etwas ratlos erschien. Sie wusste nicht so genau, was sie der Krankenkasse antworten sollte, in Bezug auf meine posttraumatische Belastungsstörung und meinen Alkoholkonsum.
„Dann schreiben Sie doch, dass Sie dazu nichts sagen können. Meine frühere Therapeutin wird vom MDK sowieso angeschrieben.“
Mit der Aussage, eigentlich nicht so genau über meine Erkrankungen Bescheid zu wissen, fühlte sie sich sichtlich unwohl. Sie wand sich, nahm das Schreiben des MDK in die Hand, legte es wieder hin, schaute mich an, schaute wieder auf das Blatt Papier und fragte mich dann:
„Ja, wann haben Sie denn das letzte Mal Alkohol getrunken?“
„Vorgestern, da hatte mein Sohn Geburtstag, und wir haben im kleinen Familienkreis ein Essen in meiner Küche gehabt. Ich habe so vier bis fünf kleine Gläser Weißwein getrunken. Wann ich davor was getrunken habe, weiß ich gar nicht so genau, ist länger her.“
„Mmmh … das ist ja nicht so viel …“, sinnierte sie so vor sich hin. Da konnte ich ihr nur zustimmen.
„Ja, und früher, wie viel haben Sie denn früher so getrunken?“, wollte sie dann wissen.
„So mindestens zehn Kölsch jeden Abend, konnten auch mehr sein“, antwortete ich wahrheitsgemäß.
„Und wo habe Sie dann den Entzug gemacht?“
„Ich habe keinen Entzug gemacht. Warum auch? Ich habe zwar immer gerne getrunken, aber ich musste ja nicht.“
Frau Dr. C. schüttelte den Kopf, anscheinend verstand sie die Welt nicht mehr, und fragte mich dann, ob ich ein neues Rezept für meine Antidepressiva brauche, ferner wollte sie wissen, wie sie denn ihr Schreiben an den MDK abrechnen solle.
„Dann schicken Sie mir halt, in Gottes Namen, eine Rechnung!“ Mein Geduldsfaden wurde mal wieder sehr dünn.
„Ja, nein … dann mache ich hier auf das Schreiben einen handschriftlichen Vermerk und schicke es zurück.“
Ich verkniff es mir, ihr eine Briefmarke anzubieten. (Großer Seufzer!)